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So praktiziert man Dankbarkeit

 

„Sei für die kleinen Dinge dankbar und dich erwartet großer Reichtum“ – Nigerianisches Sprichwort

Noch vor Kurzem hätte ich wahrscheinlich nicht gerade positiv reagiert, wenn mir jemand empfohlen hätte, Dankbarkeit zu praktizieren.

Vermutlich hätte ich höflich genickt und mich unauffällig verdrückt – unter der Annahme, dass derjenige eine alte Gottheit anbete, zu viele Joints geraucht habe und dass ich Gefahr lief, mir einen endlos langen Vortrag anhören zu müssen, wenn ich mich nicht sofort höflich zurückziehen würde.

Begriffe wie „Dankbarkeit“, „Bewusstsein“ und alles, was irgendwie mit „dem Universum“ zu tun hat, ließen mich verstummen wie ein kaputtes Radio.

Heute bin ich immer noch nicht der spirituellste Typ. Ich bete immer noch keine Götter an und bin kein frommer Jünger irgendwelcher altertümlicher Göttinnen geworden. (Ich bin aber offen für Angebote – melden Sie sich mit Ihrem günstigsten Deal.)

Was hat sich für mich geändert? Einfach ausgedrückt, ich habe es ausprobiert und die Vorteile am eigenen Leib erfahren. Und mit diesen Vorteilen beziehe ich mich auf nichts, das mit Aberglauben, Magie oder Übersinnlichem zu tun hat, sondern auf zahlreiche Studien in der Psychologie und Psychotherapie, die den praktischen und greifbaren Nutzen von Dankbarkeit belegen.

Unter Dankbarkeit verstehe ich eine dankbare Grundeinstellung und das Wertschätzen von dem, was einen umgibt. Um Dankbarkeit zu üben, musst du sie nicht unbedingt jemand anderem gegenüber verbal zum Ausdruck bringen! Du kannst es selbst ganz allein in einem völlig leeren Zimmer tun.

Für wen ist Dankbarkeit geeignet?

Dankbarkeit kennt keine Unterschiede. Als spiritueller Guru kannst du dich genauso in Dankbarkeit üben wie als Sportfanatiker. Jeder geistig halbwegs gesunde Mensch wird von Dankbarkeit profitieren.

Die religiösen Assoziationen, die der Begriff der Dankbarkeit bei uns weckt, kommen jedoch nicht von ungefähr. Dankbarkeit gehört zu den „Tugenden“, die nahezu in allen spirituellen und religiösen Lehren gepriesen werden.

Interessant dabei ist, dass unabhängig von Raum und Zeit die Botschaft immer die gleiche ist.

Aus dem Osten:

„Lasst uns uns erheben und dankbar sein, denn mögen wir heute auch nicht viel gelernt haben, so haben wir dennoch wenig gelernt, und mögen wir nicht einmal wenig gelernt haben, so sind wir zumindest nicht krank geworden, und sind wir doch krank geworden, so sind wir zumindest noch am Leben; dafür lasst uns alle dankbar sein.“ – Buddha

„Wer mir Blatt, Blume, Frucht und Wasser mit Hingabe darbringt, mit reinem Geist, von dem nehme ich dieses hingebungsvoll Dargebrachte an.“ – Bhagavad Gita

„Wenn du deine Erfüllung in anderen suchst, wirst du nie erfüllt sein. Wenn dein Glück von Geld abhängt, wirst du nie glücklich mit dir sein. Sei zufrieden mit dem, was du hast; erfreue dich an deinem Dasein. Wenn dir bewusst wird, dass es dir an nichts fehlt, dann liegt dir die Welt zu Füßen.“ – Lao Tzu

Aus dem Westen:

„Weise ist der Mensch, der nicht nach den Dingen trauert, die er nicht besitzt, sondern sich der Dinge erfreut, die er hat.“ – Epiktet

„Ein dankbarer Geist ist ein großer Geist, der schließlich große Dinge an sich zieht.“– Platon

„Träume nicht von dem, was dir fehlt, sondern denke an die wichtigsten Dinge, die du hast, und erinnere dich dann dankbar daran, wie sehr du dich nach ihnen sehen würdest, wenn du sie nicht besitzen würdest.“ – Mark Aurel

Und das sind nur einige der bekannten Zitate aus der geschriebenen Geschichte.

Hinzu kommen all die mündlichen Überlieferungen und Gleichnisse von eingeborenen Gemeinschaften, Stammesgemeinschaften, deiner Großmutter usw. – du weißt, worauf ich hinaus will.

Vielleicht bist du immer noch nicht überzeugt und das ist dein gutes Recht. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass eine Sache nicht automatisch richtig ist, bloß weil viele Menschen daran glauben.

Lass dich stattdessen von mir mit den folgenden Infos überzeugen.

Dankbarkeit als Wissenschaft:

Die psychologische Dankbarkeitsforschung hat in den letzten Jahren eine positive Wendung genommen. Dankbarkeit bezieht sich nicht länger allein auf den Akt des Bedankens an sich, z. B. für die Hilfe eines anderen (eine oberflächliche Definition und vielleicht der geläufigste Kontext). Dankbarkeit wird inzwischen vielmehr als eine Lebenseinstellung definiert, sozusagen eine Weltanschauung.

Die unten beschriebenen Studien sollen uns Aufschluss darüber geben, ob diese Weltanschauung wirklich unser Leben positiv beeinflusst.

Spoiler: Sie tut es. Und zwar immens.

Dankbarkeit senkt nachweislich das Risiko für verschiedene Erkrankungen, wie schwere Depressionen, allgemeine Angststörung, Phobien, Nikotin- und Alkoholabhängigkeit, Drogenmissbrauch bzw. -sucht und Bulimie.

Das Praktizieren von Dankbarkeit hat außerdem einige weitere Vorteile:

  1. Besserer Schlaf: Studien haben gezeigt, dass Dankbarkeit die Schlafqualität steigern kann. Eine Studie mit 65 Teilnehmern, die unter chronischen Schmerzen litten, ergab, dass jene, die ein tägliches Dankbarkeitstagebuch führten, eine halbe Stunde mehr schliefen als jene, die keine Dankbarkeit übten. (Studie „Happy Human“, 2018)

  2. Mehr Energie: Dankbare Menschen fühlen sich meist deutlich energiegeladener, sowohl mental als auch körperlich. (Studie „Happy Human“, 2018)

  3. Bessere Gesundheit: Das Praktizieren von Dankbarkeit führt zu weniger Arztbesuchen, einem niedrigeren Blutdruck und einem reduzierten Risiko für psychische Störungen.

  4. Engere Beziehungen: Studien haben gezeigt, dass Dankbarkeit unsere zwischenmenschlichen Beziehungen immens verbessern kann. Eine Studie mit mehr als 5.000 Teilnehmern ergab, dass tägliche Gesten der Dankbarkeit und Wertschätzung ein maßgeblicher Bestandteil einer glücklichen Beziehung sind. (John, 2016)

Inzwischen ist vermutlich klar, worauf ich hinaus will. Ich könnte den ganzen Tag damit verbringen, verschiedene Studien zu erklären, aber das wäre nicht sehr hilfreich.

Nachdem wir das Was und Warum geklärt haben, wollen wir uns jetzt ansehen, wie du Dankbarkeit im Alltag umsetzen kannst.

Führe ein Dankbarkeitstagebuch:

Die einfachste Art, Dankbarkeit zu praktizieren, ist mit einem Dankbarkeitstagebuch.

Im Gegensatz zum traditionellen Tagebuchschreiben, solltest du dich dabei sehr kurz fassen. Schreibe einfach jeden Tag drei Dinge auf, für die du gerade dankbar bist. Wichtig ist, dass das wirklich alles mögliche sein kann, egal, wie unwichtig es erscheinen mag. Mein Eintrag von diesem Morgen lautet beispielsweise:

Ich bin dankbar für:

  1. Meinen Hoodie, der mich an diesem Wintertag warm hält
  2. Die große Tasse mit schwarzem Kaffee vor mir
  3. Die Katzen, die mich durch ihr Herumtollen zum Lachen bringen

Meiner Erfahrung nach funktioniert es am besten, wenn du morgens nach dem Aufstehen oder am Abend in dein Tagebuch schreibst (oder beides). So bereitest du deinen Geist darauf vor, entweder für den bevorstehenden Tag oder eine Nacht erholsamen Schlafs dankbar zu sein. Schreibe einfach in dein Tagebuch, wann es dir am besten passt – egal wann, Hauptsache ist, dass du es tust!

Diese Methode wird auch als Teil des 12-Schritte-Programms zur Genesung und Wiederherstellung nach Alkoholsucht und anderen Störungen angewendet.


Dankbarkeits-Meditation:

Dankbarkeits-Meditation ist eigentlich einfach eine dynamischere Variante des Tagebuchschreibens. Nimm eine sitzende Position ein und schließe deine Augen. Denke jetzt an all die Dinge, für die du dankbar bist – und lass nichts aus! Dein Haus, dein Partner, deine Socken, der Gesang der Vögel – lass deinen Gedanken freien Lauf.

Du kannst das Ganze in deine derzeitige Meditationsroutine integrieren (falls du eine hast). Wenn du zum Beispiel normalerweise 20 Minuten lang meditierst, könntest du fünf Minuten davon der Dankbarkeitsübung widmen. Und wenn du bisher nicht meditiert hast, stell dir einfach den Timer auf dem Handy auf fünf Minuten ein.

Hast du eine Zeitlang regelmäßig meditiert, wirst du feststellen, dass dich dieses positive Gefühl auch lange Zeit nach der Meditation noch begleiten wird!

Fange negative Gedanken ein:

Wenn du negative Gedanken oder Gefühle wie Wut oder Gereiztheit wahrnimmst, fange sie ein.

Beobachte, was in deinem Kopf vor sich geht, und ersetze die negativen Gedanken durch positive, wie z. B. durch einen Gedanken der Dankbarkeit!

Ein Beispiel:

  • Ich hab die Nase voll von den aktuellen Coronavirus-Beschränkungen.

Denke stattdessen lieber:

  • Ich bin dankbar, dass ich ein sicheres Zuhause und einen Fernseher habe, mit dem ich mich ablenken kann, während ich daheim festsitze.

Das heißt jedoch nicht, dass du den Ursprung deiner negativen Gefühle einfach ignorieren sollst. Bist du wütend, weil du die ersehnte Gehaltserhöhung nicht erhalten hast, solltest du das nicht einfach mit Dankbarkeit überspielen. Handle stattdessen; zieh eine andere Arbeitsstelle in Betracht und unternimm die nötigen Schritte, um deine Ziele zu erreichen.

Der wichtigste Grund, warum du deine Gedanken „einfangen“ sollst, besteht darin, dich nicht unnötig lange von ihnen gefangennehmen zu lassen. Wenn du etwas dagegen unternehmen kannst, solltest du stets handeln!

Kannst du hingegen nichts daran ändern, erspare dir selbst das Leid und wandle den Gedanken stattdessen in Dankbarkeit um!

Du bist auch nur ein Menschen

Mir hilft es, an die grundlegenden Dinge zu denken, die ich besitze, wie Strom, Wasser und ein sicheres Dach über dem Kopf. Bei anderen Menschen kann dies aber auch Schuldgefühle auslösen.

„Es ist doch erbärmlich, dass ich mir Sorgen um meine Beziehung mache, während es Menschen gibt, die in völliger Armut leben!“

Wenn solche Gedanken aufkommen, erinnere dich, dass du auch nur ein Mensch bist. Es ist nicht deine Aufgabe, die Welt zu retten, und deine Probleme verdienen es, genauso ernst genommen zu werden, wie die eines jeden anderen – egal, ob sie im großen Ganzen gesehen unbedeutend erscheinen.

Zuletzt ist es wichtig, dass du dir ab und zu eine Pause gönnst. Wenn dir am Ende eines schrecklichen Tages überhaupt nicht danach ist, in dein Tagebuch zu schreiben oder dich glücklich zu schätzen, dass du eine sichere Existenz hast, dann ist das in Ordnung.

Leg dich ins Bett, schalte Netflix ein und versuch es morgen nochmal. Jeder hat mal einen schlechten Tag und niemand kann ununterbrochen positiv gestimmt sein.

Worauf es ankommt ist, dass du es versuchst.

 

Wo kannst du mehr über Dankbarkeit erfahren?

Dankbarkeit und positives Denken im Allgemeinen sind ein legitimes Feld der Psychologie, das lustigerweise „positive Psychologie“ genannt wird.

Ich habe folgende Buchempfehlungen für dich:

Boniwell, I. (2012). Positive Psychology In a Nutshell: The Science of Happiness (3. Edition). London: Mc Graw Hill

Frankl, V. E. (1985). Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn. Piper Taschenbuch

Fredrickson, B. L. (2011). Die Macht der guten Gefühle: Wie eine positive Haltung Ihr Leben dauerhaft verändert. Campus Verlag

Bis zum nächsten Mal,

- Elliot 


Quellen:

Rash, J.A., Matsuba, M. K., & Prkachin, K. M. (2011). Gratitude and well-being: Who benefits the most from a gratitude intervention? Applied Psychology: Health and Well-being, 3, 350 – 369. doi: 10.1111/j.1758_0854.2011.01058.x

Wood, A. M., Froh, J. J., & Geraghty, A. W. A. (2010). Gratitude and well-being: A review and theoretical integration. Clinical Psychology Review, 30, 890 – 905.

Froh, J. J., Sefick, W. J., & Emmons, R. A. (2008). Counting blessings in early adolescents: An experimental study of gratitude and subjective well-being. Journal of School Psychology, 46, 213 – 233.

Visserman, M. L., Righetti, F., Impett, E. A., Keltner, D., & Van Lange, P. A. M. (2018). It’s the motive that counts: Perceived sacrifice motives and gratitude in romantic relationships. Emotion, 18, 625 – 637. http://dx.doi.org/10.1037/emo0000344